Neue Luzerner Zeitung, 25. Mai 2002 |
«Auch in der heutigen Regierung sitzen Kriegsverbrecher»
Die Frauenrechtlerin Schahla ist vom neuen Afghanistan enttäuscht: «Bis die Frauen alle Rechte haben, ist es noch ein sehr weiter Weg.»
Ihr Name ist ein Deckname, das Foto in der Zeitung soll ihr Gesicht nicht voll erkennen lassen - Vorsichtsmassnahmen, die die afghanische Frauenrechtlerin Schahla auch nach dem Fall der Taliban einhält. Ihrer Ansicht nach regieren auch heute Kriminelle Afghanistan . Derzeit wirbt Schahla in der Schweiz um Unterstützung für den 1977 gegründeten Revolutionären Verband der Frauen Afghanistans (Rawa), der Schulen, Gesundheitsdienste und Kleingewerbe organisiert. Schlagzeilen machte die Organisation im Westen durch geschmuggelte Videos von Hinrichtungen unter den Taliban.
Wie arbeitet Rawa heute in Afghanistan?
Schahla: Wir sind immer noch nicht frei und arbeiten weiterhin im Geheimen, in Gruppen mit weniger als zehn Schülerinnen. Den Stundenplan und den Unterrichtsort ändern wir ab und zu, aber weniger als unter den Taliban.
Warum das alles?
Schahla: Für die meisten Mitglieder der Übergangsregierung sind wir ein rotes Tuch, weil wir uns für Frauenrechte und Demokratie einsetzen.
Zur Regierung gehört doch als Frauenministerin auch die Ärztin Sima Samar.
Schahla: Sie ist für uns keine Partnerin, denn sie hat es akzeptiert, mit Kriminellen und Fundamentalisten in der Regierung zusammenzuarbeiten.
Immerhin können Frauen jetzt ohne den Ganzkörperschleier und ohne männlichen Begleiter auf die Strasse.
Schahla: Regierungsangestellte dürfen die Burka im Dienst nicht einmal tragen, wenn sie wollen. Auch das ist falsch, sie sollten wählen können. Das Problem ist eben nicht die Burka, sondern es sind die Fundamentalisten.
Wen meinen Sie?
Schahla: Die Kriegsherren der Nordallianz. Ihre Grausamkeiten gegenüber Frauen waren 1992 bis 1996 so schlimm, dass sich die Leute nicht grundlos zunächst freuten, als die Taliban kamen. Regierungschef Karsai ist zwar kein Krimineller, aber er hat gegenüber den Kriegsherren wenig Macht.
Was ist ihr Vorschlag?
Schahla: Die UNO sollte alle diese Milizen entwaffnen und ihnen keine Chance mehr geben. Die internationale Gemeinschaft sollte sich sehr genau überlegen, wen sie unterstützt.
Haben Sie Kontakt zum Schweizer Aussenministerium?
Schahla: Nein.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Organisationen im Westen aus?
Schahla: Manche Hilfswerke sagen: Wir können euch unterstützen, wenn ihr das ?revolutionär? aus eurem Namen streicht. Wir akzeptieren Hilfe aber nur, wenn keine Bedingungen daran geknüpft sind. Deshalb arbeiten wir fast nur mit kleinen, mehr oder weniger privaten Gruppen zusammen.
Welche Hoffnung setzen Sie in die Loja Dschirga, die im Juni zusammentritt und der 10 Prozent Frauen angehören?
Schahla: Keine grosse. Die meisten Mitglieder dieser Versammlung haben schon früher gegen die Fundamentalisten nichts unternommen.